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Nachtaktiv

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« Am Anfang war es schwer nachts zu arbeiten, aber ich mag meinen Beruf, weil ich frei bin. Und weil man sehr viele Leute kennenlernt. Unterschiedliche Leute, aus jeder Schicht. Mit viel Geld, mit wenig Geld. Besoffene,
Nüchterne

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« Ich bin ein ganz heftiger Nachtschwärmer. Ich habe das nie verstanden, wenn man sich morgens um 7 Uhr den Wecker stellen muss und dann um 8 Uhr produktiv sein soll. Das konnte ich nie. Ich blüh‘ erst in der Nacht auf. »

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« Ich bin im Prinzip nachts mein eigener Chef. Ich entscheide, was gemacht wird oder nicht. Es gibt keine Vorgabe, wann ich welche Runde mache. Im Museum ist es trocken, warm und sauber – großartig, dass ich hier gelandet bin. »

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Mit der Dunkelheit ist auch die Kälte am Taxistand eingekehrt. Die meisten Fahrer haben sich in ihre Autos zurückgezogen, andere vertreten sich die Beine in der kalten Abendluft. Die Motoren lassen sie laufen, obwohl sich die lange Taxischlange seit einigen Minuten nicht bewegt.

Sie tippen auf ihren Smartphones, telefonieren, schauen Filme auf ihren Tablets. Die Fahrer warten und hoffen auf den „dicken Fisch“, eine Fahrt nach München oder Frankfurt. Oder wenigstens zum Flughafen.

Wenn in das vorderste Taxi ein Kunde einsteigt, setzt sich die Kolonne in Bewegung. Wie im Stau erlöschen Bremslichter, nur um wenige Sekunden später wieder aufzuleuchten. Wie im Stau versuchen manche Fahrer, sich mit Hupen und Gedränge nach vorne zu schieben.

Nardin scheint dieses Lichterspiel nicht weiter zu kümmern. Der junge Taxifahrer hebt nur manchmal den Kopf, um sich zu vergewissern, ob das letzte Hupen ihm bestimmt war oder nicht.

Er hat eine lange Nacht vor sich - wie lange, das weiß er jetzt noch nicht. Denn anders als die meisten anderen Taxifahrer, arbeitet er nicht für ein Taxiunternehmen.

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Barkeeperin – das konnte sich Venera eigentlich überhaupt nicht vorstellen. Große Menschenaufläufe und der ganze Trubel, das ist einfach nicht ihr Ding. Deshalb hat auch nicht sie ihren Job gefunden, sondern der Job sie.

Eines Abends sitzt sie mit ein paar Freunden in der Fou Fou Bar. Der Chef wird auf sie aufmerksam – ihr ungewöhnlicher Look als Kontrast zu den ganzen Schickimicki-Menschen. Er fragt, ob sie nicht Lust hätte, es als Barkeeperin zu versuchen. Venera sagt zu. Hauptberuflich ist sie Fotografin, aber gegen ein bisschen zusätzliches Taschengeld hat sie nichts einzuwenden.

Ihr erster Arbeitstag war ein Samstag und das Fou Fou voller Menschen. Der absolute Horror für Venera: „Ich hab' mich einfach nur allein gefühlt, zwischen den ganzen Leuten und fremden Kollegen.“ Heute macht es ihr nichts mehr aus, von vielen Menschen auf engem Raum umgeben zu sein. „Es hat sich zu einem Job entwickelt, den ich total liebe. Das war alles Zufall. Ich hätt’s nie gedacht, dass es passt, aber es hat gepasst.“

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fou, folle adj.    -     verrückt, wahnsinnig, verdreht

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Das grün schimmernde Licht in der Fou Fou Bar lässt die vielen Flaschen geheimnisvoll wirken. Elektronische Musik hüllt die schick gekleideten Barbesucher in ihren Rhythmus ein. Ein Touch Retro, ein Touch Modern – zwischen stylischen Barhockern und edler Kuschel-Couch-Ecke sorgen Blümchen-Schirmlampen wie aus Omas Wohnung für Wohnzimmer-Feeling.

Draußen eine ganz andere Welt: An den gläsernen Scheiben der großen Fensterfronten treffen Cocktailbar und Stuttgarter Rotlichtviertel aufeinander. Bordelle, Stundenhotels und Tabledance-Bars reihen sich auf der Leonhardstraße dicht an dicht. Rote Neontafeln spiegeln sich auf den regennassen Straßen. Gestalten huschen durch die Gassen wie Schatten, die nicht gesehen werden möchten. Manche bleiben stehen und schielen in die Bar. Die Anzugträger mit ihren Champagnergläsern blicken zurück. Zwei Welten, die sich bestaunen.

Venera mag es durch die glänzenden Bogenfenster zu schauen, in denen sich das grüne Barlicht mit roten Blinklichtern vermischt: „Das macht aus der Bar so eine Art Aquarium. Wir gucken raus und die Leute rein. Genau das finde ich cool an der Fou, das macht es ganz außergewöhnlich.“

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Der Wecker von Ralf Reichelt klingelt um 16 Uhr, drei Stunden später beginnt seine Schicht im Schloss Rosenstein. Im Inneren des ehemaligen Landschlosses württembergischer Könige befindet sich das Museum für Naturkunde der Stadt Stuttgart. Dieses bewacht Ralf seit 22 Jahren. Meist eine Woche am Stück. Jede Nacht. Zwölf Stunden lang.

Ralf ist ein gemütlicher Zeitgenosse mit einem stämmigen Erscheinungsbild. Auf seiner Nase sitzt eine Vintage-Brille, durch deren Gläser freundliche Augen blicken. Die früher einmal schwarzen Haare sind mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen, ebenso sein breiter Schnauzer, der regelmäßig erzittert, wenn er schallend auflacht.

Vor der Wende lebte Ralf in Halle an der Saale, Sachsen-Anhalt. Damals hat er noch auf große Industriewerke aufgepasst. In der DDR war der Betriebsschutz eine Abteilung der Polizei – für Ralf eine wertvolle Erfahrung: „Mir wurde ein Grundwissen vermittelt, von dem ich noch heute profitiere. Wenn ich einen Alarm bekomme, werd‘ ich nicht nervös oder so. Dann geh‘ ich in Ruhe hin und schau mir das mal an.“

Wenn Ralf an Abenden wie an diesem nasskalten Donnerstag im Februar den Rosensteinpark erreicht, ist er froh beim Arbeiten ein Dach über dem Kopf zu haben – im Gegensatz zu den Kollegen, die draußen im Park Patrouille laufen.

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Streckentarif: ca. 2,30 Euro pro Kilometer

Zeittarif: 50 Cent pro Minute

Unter 7 km/h wechselt das Taxameter
von Streckentarif auf Zeittarif

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Kurze Fahrten, lange Fahrten. Dazwischen immer wieder der Bahnhof. Wie Bienen schwärmen die Taxis aus und kehren immer wieder zurück. Erst gegen Mitternacht stellt sich so etwas wie Ruhe ein.

Ein paar Fahrer haben sich in kleinen Gruppen versammelt, pusten Rauchschwaden aus und stecken beim Reden ihre Köpfe zusammen. Sie sind alle Kollegen, aber gleichzeitig auch Konkurrenten. „Man sagt sich Hallo, sonst geht man sich eher aus dem Weg. Außer man kommt vielleicht aus dem gleichen Land oder so.“

Nur mit Yusuf, das ist für Nardin so ein „Freundschaftsding“.
Zu zweit vertreiben sie sich die Wartezeiten: Nardin und Yusuf gehen zusammen essen, zusammen Kaffee trinken oder auch mal in eine Shisha-Bar. „Wenn er am Parkplatz ist, dann hol ich ihm was zu Essen. Am nächsten Tag holt er mir was zu Essen. Wir sind auch immer in Kontakt, falls jemand Besoffenes einsteigt oder etwas passiert. Dann weiß ich, wo er steckt.“

Nardin hat seinen Motor abgestellt. Die Stunden, die über den Erfolg einer Schicht entscheiden, sind vorbei. Heute lief es gut, für einen Dienstag. So gut, dass er noch nicht aufhören will. Ein Kunde kommt noch. Bestimmt.

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Bisschen Alkohol, bisschen Saft, shaken, Deko drauf – fertig! Cocktails mixen gehört zum nächtlichen Alltag eines jeden Barkeepers, so auch für Venera. Ihren eigenen Lieblings-Cocktail, den Daiquiri, mixt sie nicht nur am liebsten, sondern schlürft ihn auch selbst gerne. Das kubanische Getränk wird
à la James Bond geschüttelt, nicht gerührt: „Der Daiquiri ist aus Rum, Limetten und Zucker. Wenn man da einen guten Rum nimmt, dann ist das was ganz Feines.“

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„Das Zwischenmenschliche“, das findet Venera in der Bar besonders spannend: Menschen, die sich zum ersten Mal treffen, gute Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersehen, ehemalige Pärchen, die plötzlich mit neuen Partnern auftauchen – was um den Tresen herum passiert, bleibt dahinter nicht unbemerkt. „Viele fühlen sich unbeobachtet und ahnen gar nicht, was ich als Barkeeperin alles mitbekomme.“

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Die Arbeit in der Bar hat Venera noch taffer gemacht. Hier hat sie das Sagen und setzt sich, wenn es nötig ist, auch mal gegen schicke Anzugträger durch.

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Dunkle Hallen wie im Film „Nachts im Museum“? Nicht im Schloss Rosenstein. Damit Ralf Reichelt bei seinen Rundgängen nicht im Dunkeln tappt, schaltet er in den großen Räumen das Licht an. Nur in den kleinen verwendet er die Taschenlampe.

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Ralf ist kein schreckhafter Mensch. Aber wegen wechselnder Temperaturen fangen Vitrinen und Regale im Museum an, Geräusche von sich zu geben. „Die dehnen sich aus und ziehen sich wieder zusammen. Dabei erzeugen sie so ein Knarzen und Knacken. Das ist schon komisch. Es braucht einige Zeit, ehe man sich daran gewöhnt.“

Und dann sind da noch die Präparate und ausgestopften
Tiere im Halbdunkel der nächtlichen Museumslandschaft.
„Hinten im Alpenpanorama steht ein gebückter Mensch. Manche Male habe ich mich da schon erschrocken. Weil man um die Ecke kommt und da steht jemand, mit dem man nicht rechnet. Dann ist man auf jeden Fall wieder hellwach.“

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Ralf läuft nicht nur Kontrollgänge. Immer wieder überwacht er das Gelände über Monitore von seinem Schreibtisch aus. Er trägt eine große Verantwortung. Ein belastendes Gefühl? Ganz im Gegenteil: „Verantwortung tragen ist etwas Schönes. Vertrauen von anderen zu bekommen. Dass sie sagen: Wenn der da ist, müssen wir uns keine Sorgen machen.“

Um nicht müde zu werden, ist Ralf vorbereitet: Fernseher und Radio helfen ihm, sich zu beschäftigen. „Wenn ich die ganze Nacht lesen würde, läge mein Kopf irgendwann schwer triefend auf der Tischplatte.“

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Jede Nacht verläuft anders, am Taxistand beim Hauptbahnhof. Am Wochenende gibt es oft bis in die frühen Morgenstunden etwas zu tun, wenn die letzten Feierwütigen die Clubs verlassen und nach Hause gebracht werden wollen.

Nachdem Nardin seinen letzten Fahrgast abgesetzt hat, holt er einen kleinen Block aus dem Handschuhfach und macht seine Abrechnung. Dann fährt er heim.

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Wenn Venera dienstags arbeitet, ist meist um 1 Uhr Feierabend. Doch dann ist noch lange nicht Schluss. Entweder sie trinkt mit Kollegen noch gemütlich einen Gin Tonic in der Fou Fou oder sie lassen woanders den Abend ausklingen. Da kann es auch mal 5 Uhr morgens werden – Venera ist eben nachtaktiv.

Auf dem Weg durchs Stuttgarter Rotlichtviertel fühlt sie sich sicher: „Hier sind so viele Leute auf der Straße – ungefährlicher als durch ein verlassenes Dorf im Nirgendwo zu laufen.“

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Wo sich tagsüber Menschen drängen, läuft Ralf seine letzte Runde durch verlassene Gänge: „Einsam fühle ich mich nicht. Ich bin kein Mensch, der ständig Leute um sich braucht. Ich glaub', ich könnte mir auch gut vorstellen, als Förster zu arbeiten - alleine im Wald umherzustapfen. Ich kann in dieser Ruhe Probleme, die man so mit sich rumschleppt, viel besser mit mir alleine austragen. Wenn ich jemanden zum Reden brauche, hab' ich ja meine Frau.“

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Um 7 Uhr morgens endet der Dienst von Ralf Reichelt. Nach zwölf Stunden. So geht das sieben Tage am Stück. Dann hat Ralf mehrere Tage frei. Sind es mehr als vier Urlaubstage, stellt er seinen Schlafrhythmus um: „Dann komme ich nach Hause und schlafe nur drei Stunden, um eine Restmüdigkeit zu behalten und abends normal ins Bett gehen zu können.“

Im Eingangsbereich des Schlosses raucht Ralf seine Feierabend-Zigarette, während im Rosensteinpark schon die ersten Vögel erwachen und die Sonne über Stuttgart aufgeht.

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Eine Multimedia-Reportage von

Corinne Schwager
Elena Riedlinger
Julian Budjan
Lena-Mara Pfaffl
Markus Eichberger
Sissy Genth
Tanja Weber

mit Musik von Samuel Brözel.

Vielen Dank an unsere drei Nachtmenschen
Nardin Chrostani | Venera Redzepi | Ralf Reichelt

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