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Neuanfang in der Fremde

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Er floh vor Armut und Gewalt: Der Bürgerkrieg hat Firas sein Zuhause geraubt. Weil er selbst nicht töten wollte, reiste er illegal aus Syrien aus. Sein Ziel: Deutschland. Jetzt ist Firas in Neckarhausen, seiner neuen Heimat – und erzählt seine Geschichte. Vom Krieg, der gefährlichen Flucht und dem Leben im Exil.

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Warum hast du Syrien verlassen?

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„Ich habe viele Tote gesehen“, erzählt Firas. Der 24-Jährige erlebt im syrischen Bürgerkrieg Schreckliches. Als Helfer beim Roten Kreuz zieht er ins Kriegsgebiet. Er muss zusehen, wie Menschen erschossen werden. Die Kugeln treffen wahllos auch Zivilisten, plötzlich, fast ohne System.
Immer öfter fliegen Kampfflugzeuge über seine Heimatstadt. Immer wieder werfen sie Bomben ab. Es gibt keinen Schutz vor ihnen. Der Krieg ist unerbittlich. Sein einziger Gedanke: „Ich muss fliehen.“

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Vor circa zehn Monaten flieht Firas illegal aus Syrien. Sein ständiger Begleiter: die Angst, erwischt zu werden. Im Gepäck hat er kein Visum, dafür 7000 US-Dollar für ein besseres Leben. Er vertraut auf einen Schleuser, der ihn in der Türkei an Bord bringt. Die Schiffe sind alt und rostig, das größte fasst 250 Menschen, darunter Frauen und Kinder. Zu essen gibt es nichts. Getrunken wird dreckiges, gelbes Wasser. Sie haben es fast geschafft.
Doch kurz vor Sizilien erwischt sie die italienische Polizei. Firas wird über den Landweg nach Catania gebracht und ins Gefängnis gesteckt. Wie soll es weitergehen? Er muss seine Fingerabdrücke hinterlassen – zur Sicherheit, sagen die Polizisten in Mailand, wohin er inzwischen geflogen wurde. Dann darf er weiterreisen.

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Wie war dein erster Eindruck von Deutschland?

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26 Flüchtlinge, sechs verschiedene Nationen – unter einem Dach. Das ist das Flüchtlingsheim in Neckarhausen, einer kleinen Gemeinde zwischen Stuttgart und Tübingen, in dem auch Firas lebt. Hier wohnen nur Männer. Alle teilen sie das gleiche Schicksal. Krieg, Armut, Not – sie mussten ihre eigentliche Heimat verlassen.
In Neckarhausen helfen nun 15 Ehrenamtliche: Sie geben Deutschkurse, gehen mit den Bewohnern einkaufen, machen Ausflüge, räumen Hürden aus dem Weg. Denn auch, wenn das hier nur eine Heimat auf Zeit ist, soll es doch irgendwie eine Heimat sein.

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Weltweit gibt es so viele Flüchtlinge wie nie seit dem Zweiten Weltkrieg. In Deutschland kommt nur ein kleiner Teil davon an – und in jedem Land müssen Regeln befolgt, Normen beachtet und Hindernisse bewältigt werden.
Firas' erster Gang führt zur Außenstelle des Bundesamts, wo er seinen Asylantrag stellt. Sprachbarrieren werden mithilfe eines Sprachmittlers überwunden: Nach Erfassung aller Daten wird eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt. Diese muss Firas immer bei sich tragen – auch beim Einkauf, der ihm anfangs ebenfalls schwer fiel. Deutschland ist nicht Syrien: zunächst ist Vieles fremd. Auch die Sprache.

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Eine Sprache zu sprechen ist Grundvoraussetzung, um eine Gesellschaft zu bilden. Eine Sprache, die die meisten Flüchtlinge nicht beherrschen, wenn sie in die neue Heimat kommen. Doch wie soll die fremde Sprache vertraut werden, wenn Bewohner „offizielle“ Integrationskurse erst nach ihrer Aufnahme besuchen dürfen?
In Neckarhausen gibt es Deutschkurse, die von den ehrenamtlichen Helfern gegeben werden. Hier soll die Fremde genommen und eine Basis für ein gemeinsames Leben geschaffen werden: eine Sprache zu sprechen.


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Was fällt dir an der deutschen Sprache so schwer?

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Firas hat seine Familie in Syrien zurückgelassen. Was bleibt, ist die Sorge um sie. Er hat fünf Brüder, davon möchte ein weiterer fliehen. Seine Eltern leben getrennt. Wenn Firas seine Brüder und seine Eltern vermisst, ruft er sie an. Er telefoniert fast täglich mit ihnen. Sie sprechen darüber, was es Neues gibt, machen sich gegenseitig Mut.
In Syrien führte die Familie ein gutes Leben – vor dem Krieg. Sie besaßen ein kleines Hotel, zwei Wohnungen in Damaskus und gehörten der Mittelschicht an. Jetzt ist alles zerstört: das Hotel, sein Zuhause, der Frieden. Das einzige, das Firas von seiner alten Heimat besitzt, ist die Erinnerung an sie.

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Sie teilen eine ähnliche Geschichte, ein ähnliches Schicksal, eine andere Zukunft – sie haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede und die neue Heimat schweißt sie zusammen. Firas verbringt die Zeit im Flüchtlingsheim mit seinen Freunden. Oft sitzen sie vor dem Haus, rauchen Shisha und reden. Seine Freunde, sagt Firas, sind heute wie eine Familie. Eine neue Familie – eine andere Familie – in der neuen Heimat.

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Firas Leidenschaft gehört dem Fußball, genauso wie dem Tischkickern mit seinen Mitbewohnern. In Syrien hörte er gerne arabische Musik und rauchte Shisha. Auch hier in Deutschland tut er das gern. Die Musik und der Geruch erinnern ihn an seine alte Heimat, sein Zimmer, die Familie und Freunde – an alles, was er in Syrien zurückgelassen hat. Im nächst gelegenen Ort Nürtingen hat er neue Freundschaften geschlossen. Es sind Flüchtlinge wie er, die dort in einem Containerdorf wohnen und die er oft mit seinem Fahrrad besucht.

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Andere Kulturen, andere Sitten: Es ist Ramadan. 29 Tage lang dürfen Firas und seine muslimischen Mitbewohner von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang weder trinken, essen noch rauchen. Gekocht und gegessen wird dann ab 21 Uhr gemeinsam und im großen Kreis. Auf den Tisch kommen Speisen aus ihren Heimatländern. Es ist eine Zeit der Ruhe, des Rückzugs in die bisher gewohnte Welt: ein Stück alte Heimat in der Fremde.

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Firas möchte in Deutschland bleiben. Aber die Voraussetzungen sind schlecht. Auf seiner Flucht hat er seinen Fingerabdruck in Italien hinterlassen. Nun soll er dahin zurück – so will es das Dublin-III-Abkommen. Aber Firas will das nicht. Er ist ein junger, gesunder Mann und spricht gutes Deutsch. Um ein Freiwilliges Soziales Jahr im ortsansässigen Sportverein hat er sich bemüht und bekam die Zusage. Der Leiter des Flüchtlingsheims Manfred Fleck versucht optimistisch zu bleiben: „Das, was Firas leistet, um sich zu integrieren, lässt mich darauf hoffen, dass dem Gnadengesuch stattgegeben wird.“

Und Firas hofft auch.

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Was tust du dafür, um in Deutschland bleiben zu dürfen?

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Die Realität und die Rechtslage sprechen nicht für Firas. Wegen des Dublin-III-Abkommens ist er quasi gezwungen, zurück nach Italien zu gehen. Doch zurück nach Italien will er nicht. „Aus Syrien bin ich geflohen, weil dort viele schlechte Menschen sind. Und in Italien wurde ich genau so schlecht behandelt.“
Aber auch, wenn die Chancen schlecht stehen und Firas um seinen Stand weiß, gibt er nicht auf.
„Ich bleibe Optimist", sagt er. Und man kann es ihm fast glauben.

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Das Dublin-III-Abkommen ist ein Stolperstein für Firas. Denn das Abkommen besagt, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem Land stellen müssen, in dem sie Europa zum ersten Mal betreten haben. So soll verhindert werden, dass mehrere Asylanträge für eine Person gestellt werden.

Firas kam mit dem Schiff zuerst nach Italien. Demnach sind die italienischen Behörden dafür zuständig, über seinen Verbleib in Europa zu entscheiden. Die deutschen Behörden sind also verpflichtet, einen Antrag auf Übernahme an Italien zu stellen.

Allerdings muss die Übernahme des Antrages innerhalb von sechs Monaten geschehen, sonst geht die Zuständigkeit für die Bearbeitung an Deutschland über.

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Auf seinem Weg in ein neues Leben hat Firas noch viel zu meistern. Dank der Ehrenamtlichen in Neckarhausen ist ihm der Anfang schon gelungen.

Unser Dank gilt Firas Abu Khraish und Manfred Fleck.

Eine Multimediareportage von Christoph Donauer, Jan Geißler, Patricia Schaller, Cassandra Schneider, Alice Springfeld (Hochschule der Medien, Stuttgart, 2015).

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