Stumme ZeitzeugenDrei Orte erzählen
Eins | Unter Tage
"Mich fasziniert die Stille, das Vergessene.
Man geht rein und ist in einer anderen Welt."
Jens, 17 Jahre, Urban Explorer
Tunnelblick.
1938 erbaut.
Zwei parallele Gänge.
Vier Verbindungsgänge.
Während des Zweiten Weltkriegs wurden in dem Industriestollen Papphülsen für Fliegermunition hergestellt. Unweit der Fabrik waren die Zwangsarbeiter in Baracken untergebracht, die man als Russenlager bezeichnete. Unter menschenunwürdigen Bedingungen mussten sie hier wohnen. Viele von ihnen ließen ihr Leben.
Verfallen.
Ein Teil des Stollens ist eingestürzt.
Alles ist von Rost zerfressen.
Die Holztüren sind morsch.
Schmutz hat sich wie eine
schützende Decke auf alles gelegt.
Zwei | Über Nacht
"Ein wunderschönes Hotel mit Blick über die Stadt. Zimmer sind sehr sauber und die Betten waren super groß und bequem. Beim Frühstücksbuffet gab es von allem etwas und auch das Abendessen im großen Saal war fantastisch. Gerne wieder!"
bewertet auf Holidaycheck
Glanzvoll.
Ein vermögender Bierbrauer legte
vor rund 190 Jahren den Grundstein
für das Gebäude. Er eröffnete eine
Gastwirtschaft mit eigener Brauerei.
In den goldenen Zwanzigern wurde
aus dem Wirtshaus das erste Kurhotel
der Stadt. Wo früher Feste gefeiert wurden,
herrscht heute erdrückende Stille.
Der russische Investor, der es zuletzt
pachtete, verschwand eines Tages.
Und mit ihm der Glanz der alten Tage.
Umsonst.
In den Räumen liegt der Hall vergangener Jahre.
Zwischen all den Relikten findet man Spuren aus der Gegenwart. Landstreicher und ihre vierbeinigen
Freunde haben sich häuslich eingerichtet.
Einige Zimmer sind verschlossen.
Drei | Auf Arbeit
40.000 Quadratmeter.
2.500 Arbeitsplätze.
0 Mitarbeiter.
Ein berühmter Architekt entwarf dieses Gebäude Ende der 60er für ein weltweit führendes IT-Unternehmen.
Geblieben ist eine hochmoderne Ruine.
Ruine.
In den 90ern verließ das IT-Unternehmen
aufgrund eines Baufehlers das 20 Hektar große Areal.
Die notwendigen Sanierungskosten
belaufen sich auf 100 Millionen Euro.
Eine Anpassung an heutige Energiestandards
ist erforderlich. Niemand will zahlen.
Seit 2009 stehen die Bürogebäude nun leer.
Bisher kostete der Erhalt des leeren
Gebäudekomplexes über vier Millionen Euro.
Pause.
Hier genossen die Angestellten
ab den 70ern die Mittagspause.
Die Lounge diente damals für entspannte
Gespräche nach dem Mittagessen.
Inzwischen droht ihr die Abrissbirne.
Herabgestuft.
Diese Treppe soll zum kreativen Zentrum führen.
Für Innovationen fehlt jedoch ein Investor.
Seit über sechs Jahren.
Das Areal verkommt immer mehr.
Das Holz verliert seinen Glanz.
Seit über sechs Jahren.
Ausgelöst.
Jens fotografiert jeden der besuchten Orte. Die Fotos
lädt er auf seine Website. Zur Sicherheit ist diese nicht
mehr öffentlich einsehbar. Damit sollen unerfahrene Nachahmer vor Unfällen bewahrt werden. Auch auf seine eigene Sicherheit achtet er: Bei jeder Tour unter Tage ist
er mit Sauerstoff-Messgerät, Erste-Hilfe-Kasten und professioneller Kletterausrüstung unterwegs.
Jens begeht mittlerweile nur noch Stollen und Bergwerke.
Die klassischen Lost-Places über Tage haben für ihn ihren Reiz verloren. Die Orte sind überlaufen. Aus der ehemalig, kleinen Urbex-Szene wurde ein Hobby für die Masse.
Take nothing but pictures. Leave nothing but footprints.
Eine Multimedia-Reportage von
Svenja Frauenhoffer, Robin Müller, Lisa Pawlowski,
Sinan Sevinc, Marc Steinau und Lukas Walter