A Quiet Place – Karlsruher Kinos zu Zeiten der Corona-Krise
Der Duft von frischem Popcorn, das gespannte Warten im
dunklen Kinosaal und die Werbung, die ihren ganz eigenen Charme hat. Im Dunkeln
sitzen und einen Film ohne Ablenkungen erleben. Jede Explosion in der
Magengrube spüren und jede Emotion aus den Augen der Schauspieler lesen zu
können. Das Kino ist ein magischer Ort.
Als Mitte März 2020 das gesellschaftliche Leben eingeschränkt
wurde, mussten alle Karlsruher Kinos ihre Vorstellungen auf unbestimmte Zeit
absagen. Wie lange dieser erzwungene Lockdown anhält, war lange Zeit nicht
bekannt. „Es ist eine Situation eingetreten, die vorher noch nie da war“ beschreibt
Marcus Vetter vom Filmtheater Schauburg die Situation, „[die Schauburg] gibt es
seit 1929 und seit der Nachkriegszeit gab es keine Zeit wie jetzt, wo man über
Wochen und Monate geschlossen sein musste.“
Wie die Karlsruher Studierenden mit dem Lockdown der Kulturbetriebe umgegangen sind, haben 27 Studierenden unterschiedlicher Geschlechter & Studiengänge in einer Umfrage zu diesem Artikel beantwortet. So hat zwar einer knappen Mehrheit der Befragten das Kino während des Lockdowns gefehlt, jedoch war knapp einem Drittel der Befragten nach mehreren Wochen nicht bewusst, dass die Kinos bereits wieder geöffnet haben.
Von Gutscheinen und Werbestreaming
Von Gutscheinen und Werbestreaming
Während dieser geschlossenen Zeit laufen die Kosten weiter:
Miete muss bezahlt und Mitarbeiter vergütet werden. Um trotzdem Einnahmen zu
generieren, mussten die Kinobetreiber zu kreativen Lösungen greifen. So mag der
Verkauf von Gutscheinen zwar naheliegen, ein spontan eingerichteter Verkauf von
Popcorn und T-Shirts bei der Schauburg zum Beispiel, ist hingegen etwas
Besonderes. Zwar ist auch Marcus Vetter bewusst, dass diese Maßnahmen nicht
kostendeckend sind, jedoch wird somit der Dialog zu den Zuschauern erhalten und
die Schauburg bleibt im Gedächtnis.
Eine besondere Lösung der Weischer.Media GmbH & Co. KG hat
innerhalb von 78 Tagen knapp 300.000€ für die Kinos in Deutschland eingespielt.
Das Projekt mit dem Titel „#hilfdeinemkino“ wurde zu Beginn des Lockdowns ins
Leben gerufen und erlaubte Werbetreibenden, ihre Werbung online zur Verfügung
zu stellen. Diese Werbung konnte dann von Besuchern der Website angesehen
werden, um einem Kino ihrer Wahl mithilfe der Werbeeinnahmen zumindest einen
kleinen Gewinn zu beschaffen.
https://hilfdeinemkino.de/
Virginia Müller beschreibt die Organisation
Das Comeback des Autokinos
Eine andere Möglichkeit mit dem
Lockdown umzugehen hat das Kammertheater Karlsruhe gesucht und gefunden. Nachdem
auch die Theater in Karlsruhe alle Vorführungen ab Mitte März 2020 auf
unbestimmte Zeit einstellen mussten, kam die Idee eines Autokinos auf. Zuerst
sollte es allerdings als neuer Standort für Theateraufführungen fungieren,
erklärt Virginia Müller vom Kammertheater Karlsruhe. Diese Idee wurde aber nach
einer Absage der Stadt verworfen und durch die Vorführung von Filmen ersetzt.
Seit Juli 2020, nach knapp 3 Monaten der geschlossenen Türen, steht ein Ende des Lockdowns an. Alle Karlsruher Kinos haben wieder geöffnet, wenn auch unter strengen Hygienerichtlinien. So müssen auch im Kinosaal die gängigen Sicherheitsabstände eingehalten werden, was zu einer geringen Auslastung von gerade mal 30-40%, je nach Kino, führt. Zusätzlich dazu muss regelmäßig desinfiziert und auch die Mitarbeiter geschult werden. Weitere Maßnahmen, welche die ökonomisch bereits angeschlagenen Kinos mehr belasten. Gerade auch, da es immer noch Leute geben muss, die sich ins Kino trauen. Ein Problem, dessen sich auch Vetter bewusst ist: „Es wird wahrscheinlich einige Monate dauern, bis [bei einer breiten Masse] wieder die Lust da ist, ins Kino zu kommen.“
Ein weiteres Problem ist die eingeschränkte Filmauswahl. So wurden besonders große Blockbuster, wie Disneys Mulan oder der neuste James Bond bereits im März 2020 auf unbestimmte Zeit verschoben. Diese sind auf eine hohe Auslastung der Kinos und eine weltweite Veröffentlichung angewiesen, um überhaupt Gewinn zu generieren. Zwei Aspekte, die aufgrund der weltweiten Situation im Juli 2020 in z.B. den USA nur schwer zu ermöglichen sind.
Marcus Vetter über die aktuelle Situation der Filmverleiher
Wenn man durch die Programme der ansässigen Kinos blättert, so findet man eine bunte Mischung aus alten Klassikern, erfolgreichen Filme der letzten Jahre, Neuveröffentlichungen von vor dem Lockdown und aktuelle Geheimtipps aus dem Independent-Bereich. Gerade da die großen Filmverleiher ihre Blockbuster zurückhalten, wittern die kleinen Verleiher ihre Chance.
Marcus Vetter über die Mainstreamisierung der Kinolandschaft
Die Zukunft der deutschen Kinolandschaft
Welchen Einfluss die Krise auf die Diversität der deutschen Kinolandschaft haben wird, kann zu Beginn der Wiedereröffnungen nur vermutet werden. So spricht Christian Bräuer von der Gilde der deutschen Filmkunsttheater in einem Interview mit der TAZ* davon, dass er eine Aufzehrung der Kinos durch große Ketten befürchtet, was so zu einer „Mainstreamisierung“ der Kinos führt. Ein Problem, weswegen sich Marcus Vetter wenig Sorgen macht.
* https://taz.de/Verbandschef-ueber-Kino-in-Coronakrise/!5685233/
Marcus Vetter zum Aufstieg der Streamingplatformen
Aufstieg der Streamingdienste
Ein großer Konkurrent der Kinos, der deutlich gestärkt aus
der Krise hervorgehen wird, ist das Online-Streaming mit Anbietern wie Netflix,
Amazon Prime oder Disney+. Gerade Netflix brach in der ersten Jahreshälfte 2020
ihren firmeninternen Rekord für neue Abonnements und übertraf damit nicht nur ihre
eigenen Erwartungen.
Diese weltweite Beliebtheit ist auch den Filmverleihern bewusst, die während der eingeschränkten Öffnungsmöglichkeiten der Kinos mit einem rein digitalen Release experimentierten. Ob Filme wie Greyhound, Trolls 2 - World Tour oder Disneys Mulan dabei starken Einfluss auf das Machtgefüge zwischen Kino und Streaming haben werden, bleibt abzuwarten.
Simon Haneke beschreibt, wie der AFK zum Streaming steht
"Eine Welt ohne Kinos wäre eine sehr traurige Welt"
Auch bei den Studierenden liegen Streamingdienste hoch im Kurs. Trotz dieser Entwicklungen stehen die Studierenden den Kinos immer noch positiv gegenüber. So kann sich ein Großteil der Befragten eine Zukunft ohne Kinos nicht vorstellen. Sei es als Ort, um in aller Ruhe Filme zu genießen, als soziales Event im Freundeskreis oder als Kurator, der einen auf unbekannte Filmperlen und Geheimtipps aufmerksam macht.