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Containern

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Containern, Dumpster Diving, Mülltauchen – es gibt viele Bezeichnungen für den Megatrend bei Studis aller Fakultäten. Mit Containern lässt sich Bafög einsparen, man kann aufregende nächtliche Abenteuer erleben und zugleich auch noch ein ethisches Statement gegen Lebensmittelverschwendung setzen. Am besten lässt sich das Containern als das Retten von entsorgten Nahrungsmitteln aus den Mülltonnen der Supermärkte beschreiben. Mittlerweile hat sich in verschiedensten Städten eine richtige Container-Szene aufgebaut. Es gibt Internetforen mit Tipps für Neueinsteiger, Kommentare in den sozialen Netzwerken und reihenweise Reportagen zum Thema. In einer rechtlichen Grauzone hat sich so eine neue Kultur der Lebensmittelrettung entwickelt.


Ein Beitrag von:

Alexander Beckmann
Elena Ferreira
Timo Sehl

Einige der Bilder entstanden im Rahmen des Artikels „Containern“ im KT 51 „Moralischer Kompass“:
https://fuks.org/allgemein/kt-51-moralischer-kompass/ 

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Jeff* studiert Kunstgeschichte im 5. Semester. Von seinem außergewöhnlichen Hobby erfuhren wir an einem verregneten Mittwochnachmittag. Da hat er in der Cafeteria einen dieser sündhaft teuren To-go-Couscous-Salate ausgepackt. Auf die Frage, woher er ihn habe, meinte er nur lakonisch: „Der ist containert!“ „Containert?!“ Wir waren neugierig geworden und wollten mehr wissen. Anstelle einer Erklärung lud uns Jeff zur nächsten WG-Party ein.
Es ist Samstagabend, halb neun, in der Karlsruher Nordstadt stehen wir vor einem Mehrfamilienhaus. Von Weitem hört man schon Musik. Jeff öffnet uns die Tür. Auf den ersten Blick sieht alles nach einer normalen WG-Party aus. In der Sitzecke wird Shisha geraucht, am Tisch spielen einige Karten, es wird getrunken und über die laute Musik hinweg muss man schreien, um sich zu verständigen. Es gibt einen Tisch mit Getränken und einen zweiten reich gedeckt mit Snacks – Gummibärchen, Kekse, Chips und eine riesige Schale voller Wassermelonenkaugummis. Die Auswahl ist beeindruckend, „Allesamt containert“, erklärt Jeff vergnügt.

* Name von der Redaktion geändert

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In Jeffs Zimmer hängt ein selbstgemaltes Gemälde – Materialien, Farbe, Leinwand, alles aus dem Müll. Stolz erzählt er, wie es begann. In seiner alten WG hätten sie Elektronikgeräte wie Laptops, Fernseher oder Toaster aus der Mülltonne gefischt und zu einem zweiten Leben erweckt. Er zeigt uns viele Bilder von den gemeinsamen Beutezügen und am Ende steigen wir in Tiefe des Kellers. Im fahlen Licht einer einsamen Glühbirne findet sich ein wahres Schlaraffenland aus containerten Vorräten. Regale voller Marmelade und Konserven, Kartons voller Äpfel, Mandarinen und Berge von Süßem. Es ist schon nach Mitternacht, als wir die Party verlassen, nachdenklich, mit vielen neuen Eindrücken und den Taschen voller Süßigkeiten.

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Am Montagabend nach der Party treffen wir Jeff in der Bibliothek. Er erzählt uns weiter vom nächtlichen Containern, von der Anspannung beim Öffnen der Mülltonnen, vom Adrenalin, wenn man in der Tiefe unerwartete Schätze entdeckt und sie, den Kopf tief im Container, herausangelt, von der Freude, wenn man die Beute unter sich aufteilt oder an die Freunde verschenkt. Wir haben das Gefühl, exotischen Jagdgeschichten zu lauschen.

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Jeff erzählt uns von einer nervenaufreibenden Verfolgungsjagd. Die nächtlichen Streifzüge verlaufen nicht immer reibungslos.

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Jeff berichtet, dass vorwiegend Frischwaren wie Obst und Gemüse sowie Milchprodukte von den Supermärkten entsorgt werden. Einerseits hänge das mit den anspruchsvollen Kunden zusammen, die nur perfektes Aussehen der Waren akzeptierten und möglichst frische Lebensmittel kauften. Zum anderen spiele das Mindesthaltbarkeitsdatum eine fatale Rolle. Auch wenn das MHD nicht das Verfallsdatum ist, dürften Supermärkte Waren nach Ablauf des MHD nur noch mit deutlicher Kennzeichnung verkaufen. Trotz eines reduzierten Preises sei die Mehrheit der Käufer davon abgeschreckt. Milchprodukte wie Joghurts fänden sich deshalb überdurchschnittlich oft in den Mülltonnen, da etwa ein Sechserpack vollständig entsorgt werden müsse, sobald auch nur ein einziger Joghurt-Becher beschädigt ist.
Wir sehen auf seinen Bildern das chaotische Durcheinander in den Tonnen und fragen Jeff ob er keine Angst vor einer Lebensmittelvergiftung habe.


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Pro Jahr landen 18 Mio Tonnen Nahrungsmittel im Müll. Jeden Tag sind das 27.000 Tonnen. Jede Minute 19 Tonnen. Jede Sekunde 313 Kilogramm. 

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Jeff plaudert inzwischen ganz offen über das Containern. In seinem Familien- und Freundeskreis sei es inzwischen eine akzeptierte Sache. Wir wollen wissen, ob er keine Angst habe, erwischt zu werden. Jeff berichtet lächelnd, er sei schon ein paar Mal von der Polizei aufgegriffen worden. Meist würden die von den Geräuschen des Containers aufgeschreckten Nachbarn einen Einbruch melden. Ernsthafte Konsequenzen aber habe es für ihn bisher noch nicht gehabt. Ein paar Nächte auf dem Polizeirevier und einige Anzeigen, das ja, aber zu einem Gerichtsverfahren sei es nie gekommen. Die Ermittlungen wurden immer eingestellt, bevor es wirklich brenzlig werden konnte.
Ein bisschen Jägerlatein ist vielleicht auch dabei. Aber es klingt spannend wie ein guter Krimi.

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§ 242 Diebstahl.
(1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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Jetzt wollen wir es ganz genau wissen. Wir besuchen den Anwalt Jürgen Just in seiner Kanzlei in Karlsruhe. 
https://www.just-und-partner.de/

Ist Essen überhaupt im rechtlichen Sinne Müll? Vordergründig gilt es auch beim containerten Essen, die Eigentumsfrage zu klären. Darüber streiten Juristen noch leidenschaftlich. Containern bewege sich in einer gesetzlichen Grauzone. Das Einzige, was man mit Sicherheit sagen könne: Sobald ein Ladeninhaber Lebensmittel zur Mitnahme auf die Straße stellt, verzichte er damit auf sein Eigentumsrecht. 

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§ 123 Hausfriedensbruch (1) Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
 (2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.
 § 303 Sachbeschädigung (1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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Wie sieht das aber mit den Containern im Hinterhof der Supermärkte aus? In der Regel werden die ausgesonderten Waren dort Eigentum einer beauftragten Entsorgungsfirma. Fürs Containern heißt das, zur Anzeige führt meist nicht der „Diebstahl“ sondern der damit verbundene Delikt des Hausfriedensbruchs nach § 123 Abs. 1 StGB und möglicherweise auch eine Sachbeschädigung nach § 303 StGB, wenn man über einen Zaun klettern und die Schlösser der Container knacken muss, um an deren Inhalt zu gelangen.

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Der Ausgang des Verfahrens hängt vom Einzelfall ab. Ein geringer Gesetzesverstoß ist das Containern nur, wenn der Warenwert der Ausbeute nicht über 25 Euro liegt. Sobald die Menge der geretteten Lebensmittel aber quasi gewerbliche Ausmaße annimmt, ist nach Meinung unseres Rechtsexperten mit einer Geldstrafe zu rechnen. Aber wer kennt den Wert eines Joghurtbechers nach Ablauf der Haltbarkeit oder einer Banane, die erste braune Flecken zeigt?
Wir fragten Jeff, wie er den durchschnittlichen Warenwert der von ihm erbeuteten Lebensmittel einschätzt. Er erzählt von den vielen Kisten die er so in den Nächten einer Woche in sein Auto laden kann. Wir erinnern uns an den teuren Couscous-Salat in der Cafeteria. Jeff schätzt den Warenwert seiner Wochenbeute auf 400 Euro. Aber das gilt eben nur, wenn man die aufgeklebten Preisetiketten zusammenaddiert. Der tatsächliche Marktwert von Weggeworfenem lässt sich nur sehr schwer objektiv berechnen.

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Sollte man doch mal eine Vorladung im Briefkasten finden, so rät Herr Just, sich an einen Anwalt zu wenden. "Zu diesem Zeitpunkt bestehen noch gute Chancen, dass das Verfahren eingestellt wird."
Und das Anwaltshonorar? Sollte man als eine Investition in die eigene Zukunft sehen.
Falls sich jedoch kein Geld im Familien- und Freundeskreis zusammenkratzen lässt, bleibt einem nur die Selbstverteidigung. Containern ist kein Fall für einen Pflichtverteidiger.
Sollte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, rät Herr Just, mit Bescheidenheit und Sympathie ins Rennen zu gehen, also keine Diskussionen über Lebensmittel- und politische Grundsätze anzustacheln, da die Chancen sonst gering stünden, dass die Staatsanwaltschaft Gnade vor Recht ergehen lässt.

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Unser Nachbarland Frankreich versucht seit 2016 aktiv die Lebensmittelverschwendung einzudämmen, indem gesetzlich verboten ist, dass Supermärkte ab einer Verkaufsfläche von mehr als 400 Quadratmetern Essen wegwerfen. Somit stellen französische Supermärkte alle noch genießbaren Lebensmittel Hilfsorganisationen zu Verfügung. Damit lässt sich nicht nur Müll einsparen, sondern auch ordentlich Geld und Steuern.

Warum gibt es sowas nicht bei uns in Deutschland?

"Wir wollen, dass genießbare Lebensmittel auf dem Teller landen und nicht in der Tonne. Wir wollen verbindliche Reduktionsziele bei der Lebensmittelverschwendung. Um diese Ziele zu erreichen, sind alle gefragt: vom Handel über die Industrie und Gastronomie bis zu den Verbraucher*innen. Deshalb wollen wir Supermärkte ab einer gewissen Größe dazu verpflichten, nicht verkaufte, aber noch gute Lebensmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot soll für alle Menschen offen sein. Dabei soll sichergestellt werden, dass dies nicht zur Müllentsorgung missbraucht wird. Menschen, die Lebensmittel aus dem Müll retten, sollen nicht bestraft werden."

- Forderung Bündnis 90/ Die Grünen

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Da es in Deutschland immer noch keine gesetzliche Regelung zur Lebensmittelrettung gibt, sind gemeinnützige Initiativen wie die Tafeln auf den guten Willen der Lebensmittelbranche angewiesen. Nach eigenen Angaben sammeln die mehr als 900 Tafeln in Deutschland tagtäglich tonnenweise einwandfreie, ausgesonderte Lebensmittel und verteilen sie an rund 1,5 Millionen bedürftige Menschen.
Jeff erzählt uns auch, dass manche überzeugte Verfechter des Containerns Lebensmittel, die sie nicht selbst verbrauchen können, zu den Kühlschränken von Foodsharing bringen. Diese Online-Community stellt in den Städten öffentlich zugänglich Regale und Kühlschränke für überschüssige Lebensmittel von Privatpersonen oder Betrieben auf. Inzwischen arbeitet Foodsharing in Kooperation mit den Tafeln, um möglichst viele Nahrungsmittel vor der Tonne zu retten.
Wer also in Karlsruhe Essen übrig hat oder noch was fürs Abendessen braucht, kann ganz einfach die Website 
https://foodsharing.de/?page=fairteiler&bid=433 besuchen und den Füllstand der sogenannten Fairteiler abfragen. Oder sich die App too-good-to-go aufs Handy laden und nicht verbrauchte Lebensmittel in Restaurants, Kneipen und Essensständen zum reduzierten Preis absahnen.

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1. Dem Essen ganz allgemein eine sehr viel höhere Wertschätzung entgegen bringen
2. Nur einkaufen was du auch verbrauchen kannst
3. Im Supermarkt nach reduzierten Waren mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum Ausschau halten
4. Ganz gezielt die Reste im Kühl- oder Vorratsschrank verwerten (Rezepte hierfür findet man auf fast jeder Supermarkt-Website)

... und was macht Jeff?
„Solange im Freundeskreis noch einige zu finden sind, die da Lust aufs Containern haben, werde ich das noch eine Weile weiter machen!“

Noch mehr zum Lifestyle Containern hier:
http://www.hd-campus.tv/video/Containern/12/d37edd98d253e4f4f9d1c898ef137bd4

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Kapitel 1 Narrativer Backbone

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Kapitel 2 Containern - Der Adrenalinkick

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Kapitel 3 Frischwaren

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Kapitel 4 Juristische Situation

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Justitia

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Notizbuch
Kapitel 5 Grüne

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Tafeln foodsharing
Kapitel 6 Fazit

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